Richtig Tiere essen?!

Für mich ist es eine wunderbar ehrliche Sache, ein Tier selbst zu töten und es mit den eigenen Händen vom Lebewesen zum Lebensmittel zu verarbeiten. In Deutschland ist das nicht ganz einfach: Wer jagen möchte, braucht einen Jagdschein, Angeln darf man nur mit Fischereischein und auch um Tiere zu halten und zu schlachten muss man viele strenge Auflagen beachten. Zumindest den Jagdschein und den Fischereischein habe ich, und bin deshalb in der glücklichen Lage einige Lebensmittel selbst zu verarbeiten.

 

In Großbritannien scheinen die Gesetze etwas lockerer zu sein, und so beginnt das Buch „Richtig Tiere essen?!“ damit, dass Louise Gray ihr erstes Wildkaninchen mehr schlecht als recht erlegt. Obwohl es noch flüchtet, findet sie das Tier schließlich und kann es mit nach Hause nehmen, zubereiten und sich als Erinnerung an diesen Tag präparieren lassen.

Das Erlebnis ist der sprichwörtliche Startschuss für das Vorhaben der Journalistin, ein Jahr lang nur Tiere zu essen, die sie selbst getötet hat. Sie gibt damit auf die ethischen Fragen der Fleischerzeugung nicht die derzeit scheinbar übliche Antwort „ich bin jetzt vegan„, ein Grund dafür könnte sein, dass auch ihr Vater Landwirt ist. Um zu erfahren, wo das eingeschweisste rosafarbene Zeug im Supermarkt herkommt, geht sie auf die Menschen zu, die Tiere töten – und legt selbst Hand an. Sie trifft Fischer, besucht Metzgereien und hilft bei einer Hausschlachtung. Dabei klammert sie konventionelle Landwirtschaftsbetriebe und industrialisierte Schlachthöfe nicht aus, sondern lässt sich auch dort Abläufe und Hintergründe erklären. Genau diese undogmatische Offenheit und ihre ehrliche Suche nach für alle Beteiligten befriedigenden Lösungen heben ihr Buch von vielen anderen Ansätzen zum Thema ab.

Immer wieder geht Lousie Gray auch zur Jagd und schießt nach dem Kaninchen auch ein Schaf, einen Fasan, eine Taube und einen Rothirsch tot. Sie beschreibt den Augenblick des Schusses wunderbar ehrlich, völlig fern der üblichen kitschigverdächtigen Jagdromantik: „Beim Griff zur Waffe geht es nicht darum, frei zu sein oder wild, sondern darum, die absolute Kontrolle zu haben. Mit »männlich« oder »weiblich« hat das nichts zu tun. Entweder du hast die Kontrolle – oder eben nicht. Entweder du gibst einen guten, sauberen Schuss ab – oder eben nicht.“

Auch in den anderen Kapiteln findet die Journalistin eine sachliche, nüchterne Sprache, die in der emotional aufgeladenen Debatte zum Verhältnis von Mensch und Tier häufig fehlt. Ihr Fazit am Ende des Experiments ist nicht neu, aber dank der im Selbstversuch gewonnen Einsichten besonders eindringlich: Wir sollten insgesamt weniger Fleisch essen. Wir sollten uns mehr damit beschäftigen, wo unsere Lebensmittel her kommen. Wir sollten die Tiere wertschätzen, die Erzeugerinnen und Erzeuger unterstützen, und auch neue technische Lösungen entwickeln.

„Richtig Tiere Essen?!“ verfolgt einen Ansatz, der den Überzeugungen die ich auf dieser Seite vertrete sehr nah ist. Ich esse gerne Fleisch, aber sicher nicht jeden Tag, und eben nur von Tieren, die ich selbst getötet habe. Ich esse lieber ein mal in der Woche ein mit viel Liebe zubereitetes, selbst geschossenes Reh, als jeden Tag Bärchenwurst aus dem Supermarkt. Ich habe das Buch gerne gelesen, unterstütze die Idee der Autorin und werde es weiterempfehlen.

 

Zwei Kritikpunkte habe ich trotzdem: Louise Grey hat sich tief in das Thema eingearbeitet, die Übersetzerin leider nicht. Das beschert den Leserinnen und Lesern spannende Wortschöpfungen wie „Hirschbock“, lässt sich insgesamt aber verschmerzen. Ärgerlicher finde ich, dass am Ende des Buches eine Studie der WHO zitiert wird, nach der das Darmkrebsrisiko durch den Verzehr von rotem Fleisch um 18 % steigt. Diese Statistik wurde Ende 2015 weit verbreitet, oft zitiert – und fast immer völlig falsch interpretiert. Das Max-Plack-Institut für Bildungsforschung hatte sie deshalb damals sogar zur „Unstatistik des Monats“ gewählt.  Louise Gray glaubt an eine gute Sache und möchte andere von ihr überzeugen. Mit einer ungenauen Wiedergabe wissenschaftlicher Studien macht sie sich und ihr Buch angreifbar. Nötig hat sie das nicht – die gelungene Mischung aus nüchternen Fakten und eigenen Emotionen in den anderen Kapiteln beantwortet vollumfänglich die Frage, wie das wohl gehen könnte, mit dem „Richtig Tiere essen?!“.

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