Die Augen mitessen
Form folgt Funktion – auch auf dem Teller
Auch wenn ich seit einigen Jahren Rezepte ins Netz stelle: Gelernt habe ich nicht zu kochen, sondern zu gestalten. Kommunikationsdesign habe ich mal studiert, an der Kunstuni in Berlin. Im Leben bringt einen das leider nicht wirklich weiter, viel mitnehmen konnte ich außer einem teuren Monitor und ein bisschen billigem Werkzeug nicht. Aber immerhin hat diese Zeit auch meine Art zu kochen geprägt: Den Satz „Form folgt Funktion!“ habe ich nicht nur oft gehört, sondern tatsächlich immer wieder beherzigt und mir schließlich in Akzidenz-Grotesk quer übers Steißbein tätowiert.
Form folgt also Funktion: Überflüssiges lasse ich weg, oder versuche es zumindest. Beim Anrichten und Fotografieren für diesen Blog arbeite ich gerne minimalistisch. Ein Teller und das Gericht. Der Hintergrund schlicht, oder einfach schwarz. Keine gefalteten Servietten, kein liebevoll drapiertes Besteck, kaum Requisiten.
Alles was auf den Teller möchte, muss sich beweisen und etwas zum Geschmack beitragen – das ist hier das Gesetz!
Ein kulinarisches Beispiel ist meine Herangehensweise an eine Knochenbrühe oder einen Fond. Nach und nach habe ich die Zutaten reduziert, bis am Ende nur noch Wasser, Knochen und Sehnen geblieben sind. Konzentrierter Geschmack, mit dem sich präzise weiterarbeiten lässt.
Im Augenblick ist aber vieles anders. Und deshalb ist es vielleicht auch an der Zeit, diese Regel zu brechen, oder wenigstens ein bisschen zu lockern. Vielleicht. Letzte Woche hatte ich schon einen Versuch gewagt. Ich muss vorsichtig sein. Ich möchte nicht zu Anarchie aufrufen. Ich möchte den Blog nicht in seinen Grundfesten erschüttern, und ich möchte nicht unüberlegt die Arbeit der letzten Jahre über Bord werfen…
Egal, Augen auf und durch: Ein paar hübsche Blüten machen sich ehrlich gesagt gut auf dem Teller, auch wenn sie manchmal wenig Geschmack mitbringen. Alle freuen sich, wenn die Augen mitessen, einfacher kann man den Alltag kaum verschönern. In den nächsten Tagen möchte ich einige bunte Teller zeigen, die ganz unkompliziert und einfach nett ein Grinsen ins Gesicht zaubern. Viele Wildkräuter blühen in diesen Wochen, einige werde ich vor- und in den Mittelpunktstellen. Und dann wird es hoffentlich möglichst bald wieder gewohnt ernst, schlicht und streng.
Den Anfang machen einfache Nudeln mit Reh-Tomatensauce. Die Spaghetti habe ich wie bei diesem Rezept selbst gemacht, die Sauce wie hier beschrieben schon im Herbst eingekocht. Und damit das Ganze ganz besonders hübsch aussieht habe ich Blüten von Wiesenschaumkraut, Knoblauchsrauke und Gamander-Ehrenpreis/Gewitterblümchen darübergestreut. Alle drei Arten sind weit verbreitet, kaum zu verwechseln und vor allem: essbar.