Feucht hinter den Ohren
Wer im Mai viel draußen ist, wird irgendwann über ein Rehkitz stolpern. Stolpern meine ich wortwörtlich: Die kleinen Krabbler laufen noch nicht weg, sondern bleiben einfach liegen und vertrauen darauf, dass sie geruchlos und sehr gut getarnt sind. Auch die fehlende Scheu macht solche Begegnungen zu besonderen Momenten: Erwachsene Rehe sieht man in der Regel als Schatten im Dickicht, als weit entfernten Punkt auf einer Wiese oder als kurzes Huschen auf der Rückegasse. Bei einem Kitz ist das ganz anders. Man könnte sich ohne weiteres nähern, es lange beobachten, aus allen Winkeln fotografieren, filmen (Insta und so)… Oder sich einfach kurz freuen und das Tier möglichst schnell wieder in Frieden lassen. Das ist eindeutig die beste Idee – irgendwo in der Nähe wartet die Mutter, Menschen stören. Berühren, streicheln oder sogar mitnehmen verbietet sich von selbst, der fremde Geruch würde das Muttertier irritieren.
Bei diesem Bild konnte trotzdem nicht widerstehen, zusätzlich zur Freude auch schnell ein paar Aufnahmen mit dem langen Teleobjektiv zu machen: Das Kitz kann erst Augenblicke zuvor auf die Welt gekommen sein – ein so »taufrisches« habe ich bisher noch nie endeckt. Wer genau hinsieht, erkennt das während der geburt plattgedrückte Gras und dass die Beine sogar noch nass sind. Meine Hündin hat mir die Stelle deutlich angezeigt, sie muss den Geruch von Fruchtwasser und Blut bemerkt haben. Zum Kitz dufte sie selbstverständlich nicht und nach etwa einer Minute machte die Mutter durch lautes Schrecken aus der nächsten Dickung unmissverständlich klar, dass unser Besuch unerwünscht ist.