Fleischreifung bei Wild

Grundlagen der Fleischreifung

Unter Jägern wird bekanntlich generell immer viel diskutiert, manchmal auch über das Thema Fleischreifung. Soll ein Reh drei Tage abhängen, eine ganze Woche, noch länger – oder überhaupt nicht? Unterscheiden sich Reh-, Dam und Rotwild in der Reifezeit? Wildschweine sind keine Wiederkäuer, muss das Fleisch von Schwarzwild trotzdem reifen lassen? Mit welcher Reifungsmethode kitzelt man den optimalen Wildgeschmack aus seiner Jagdbeute heraus, welche Rolle spielt der Faktor Zeit? Diese Fragen beschäftigen mich, und auf einige habe ich Antworten gefunden.

Frischfleisch – nein danke

Fleisch wird grundsätzlich nicht frisch verzehrt. Wenn ich in diesem Beitrag über Fleischreifung schreibe, gilt das Gesagte deshalb nicht nur für Wildarten wie Reh-, Dam- und Rotwild: auch Masttiere wie Rind, Schwein und Schaf landen nicht sofort nach der Schlachtung auf dem Teller. Egal ob Jagd oder Schlachthof, nach dem Tod und dem Ausnehmen/Aufbrechen muss das Fleisch wenigstens einige Tage gut gekühlt reifen, bevor es an die Zubereitung geht. Die Struktur des Muskelfleischs verändert sich während der Fleischreifung, das Aroma kann sich entwickeln.

Mein Verständnis für Chemie war schon in der Schule begrenzt, und es soll hier auch mehr um die Praxis als um die Theorie gehen, aber trotzdem möchte ich ganz grob umreißen, was passiert, wenn Fleisch »reift«: Zu Lebzeiten verstoffwechselt das Tier Glykogen, ein Zuckermolekül, in seinen Muskeln. Dafür wird der über das Blut zur Verfügung gestellte Sauerstoff benötigt. Nach dem Tod ist das nicht mehr möglich, die Sauerstoffzufuhr durch Atmung und Blut fehlt. In der Folge verändert sich der Ablauf und ein anderer Abbauprozess läuft anaerob ab, also ohne Sauerstoff. Milchsäure entsteht, den dadurch sinkenden pH-Wert in den Muskeln kann man messen. Im sauren Milieu beginnen das Bindegewebe und Muskelfasern sich verändern – das Fleisch wird nachgiebiger und zarter. Nach zwei bis drei Tagen ist der Glykogenvorrat aufgebraucht, der Prozess kommt zum Erliegen und der pH-Wert steigt wieder an. Die Totenstarre lockert sich, das Fleisch ist jetzt bereit für die Pfanne – wie man entscheidet, welches Teilstück man wie am besten zubereitet, habe ich hier aufgeschrieben.

Fleischreifung auf der Jagd

Auch mein Wild muss nach dem Schuss reifen. Im Sommer lasse ich Rehe und Wildschweine ausgenommen, aber mit Fell, für drei bis maximal sieben Tage bei etwa zwei Grad abhängen. Dafür kann ich derzeit eine Kühlkammer mit Umluftkühlung oder einen speziellem Umluftkühlschrank nutzen. Ein (ausreichend großer) Haushalts- oder Getränkekühlschrank ist für diese Art der Reifung erst nach Einbau eines Lüfters geeignet, da das Fleisch in der stehenden Luft sonst schnell verdirbt.
Nach spätestens einer Woche zerteile ich das Wild (wer sich für die Details interessiert, bitte hier entlang), vakuumiere es und friere alles ein, was ich nicht bald verarbeiten kann. Das Einfrieren beendet in jedem Fall die Fleischreifung. Damit sollte man planen: Auftauen und weiterreifen funktioniert nicht.

Alternative: die Nassreifung

Den Wildkörper im ganzen reifen zu lassen, ist die unter Jägern übliche Vorgehensweise. Allerdings ist das nur möglich, wenn eine entsprechende Kühlkammer vorhanden ist. Ist das nicht der Fall, oder soll z.B. Wild aus einem weiter entfernten Revier ohne zusätzliche Fahrerei verwertet werden, ist es eine gute Alternative, Fleisch von Beginn an „nass“ zu reifen. Auch bei Rindern in den großen Schlachthöfen wird diese Methode angewendet: Das Tier wird sofort nach seinem Tod zerteilt. Die Teilstücke verpackt man in Plastikbeutel und saugt die Luft ab. Das Fleisch reift dann im Beutel, die chemischen Abläufe sind die gleichen wie bei einem ganzen Tier. Das vakuumverpackte Wildbret kann allerdings währenddessen im normalen Haushaltskühlschrank gelagert werden. Der Vorteil liegt auf der Hand: Während des Reifeprozesses ist ein bereits zugeschnitten Tier wesentlich handlicher, die Anschaffung eines Wildkühlschranks ist nicht nötig und die Fahrt zur Wildkammer entfällt auch. Außerdem lässt sich die Decke unmittelbar nach der Erlegung erheblich leichter abziehen als später vom durchgekühlten Wildkörper.

An kühlen Tagen schneide ich meine Beute deshalb in der Regel noch im Wald zu. Das klingt ungewöhnlich, trotzdem funktioniert meine Vorgehensweise einwandfrei. In Deutschland wird die Nassreifung bisher noch selten angewendet, in anderen Ländern ist sie üblich. Ich vermute, dass das auch damit zusammenhängt, dass Deutschland ungewöhnlich lange Jagdzeiten hat. Rehe haben maximal drei Monate Schonzeit, Wildschweine dürfen immer erlegt werden – da lohnt sich die Anschaffung einer Kühlmöglichkeit eher als in den USA oder Skandinavien, wo oft nur einige Wochen im Jahr gejagt wird. Statt eine teure Kühlkammer kaum auszulasten, setzen Jägerinnen und Jäger in diesen Ländern auf die Nassreifung . Für mich war das eine Anregung.

Darf man Wild im Revier zerwirken?

Verkaufen darf ich im Wald zugeschnittenes Fleisch nicht. Voraussetzung dafür wäre ein vom Amtstierarzt abgenommener Betriebsraum, das ist mein stabiler Ast nicht. Sauber arbeiten kann ich trotzdem, bedenken das Fleisch zu essen habe ich keine. Schwarzwild sollte nicht auf diese Art verarbeitet werden: Positive Befunde bei der vorgeschriebenen Trichinenschau sind selten, aber im Fall der Fälle muss der vollständige Wildkörper abgeliefert werden. Wildschweine dürfen deshalb erst nach Begutachtung der Probe und Freigabe zerwirkt werden.

Auf Fleischreifung verzichten?

Aber was passiert eigentlich, wenn man auf die Fleischreifung verzichtet? Abgeraten wird davon häufig, eigene Erfahrung haben die wenigsten. „Macht man halt nicht“ reicht mir aber nicht als Begründung – höchste Zeit für ein Experiment. Ich habe dafür ein Reh erlegt und ausgenommen. Auf einer Seite des Rückens habe ich dann sofort im Anschluss das Fell abgezogen und einen Strang des langen Rückenmuskels ausgelöst. Zu Hause habe ich die kräftige Sehne entfernt, das Fleischstück in zwei Hälften geteilt und vakuumverpackt. Eine Hälfte ist sofort in den Gefrierschrank gewandert. Die Erlegung lag zu diesem Zeitpunkt maximal zwei Stunden zurück, eine Fleischreifung konnte also nicht stattfinden. Die andere Hälfte lagerte für eine Woche bei drei Grad im Kühlschrank, wurde also nass gereift. Das restliche Reh mit dem zweiten Rückenstrang hing die gleiche Zeit in der Kühlkammer, mit Fell, so wie es unter Jägern üblich ist. Danach habe ich es abgezogen, zerteilt und ebenfalls den Rückenmuskel ausgelöst.

Nach einer Woche liegen drei Stücke Rehrücken auf meiner Arbeitsplatte: ein ungereiftes, aufgetautes. ein nass gereiftes aus dem Folienbeutel und eines, das trocken am Knochen reifen konnte. Deutlich zu erkennen ist vor allem das ungereifte Stück: dunkler, auf Druck mit dem Finger weniger nachgiebig und neutraler im Geruch als die anderen beiden. Das nass- und das trockengereifte Stück waren äußerlich kaum zu unterscheiden, lediglich im Geruch schien mir das nassgereifte eine Spur säuerlicher zu sein.

Der Geschmack von ungereiftem Fleisch

Um Unterschiede ausschließen zu können, habe ich die Rückenstücke exakt gleich behandelt: Die drei Medallions habe ich gleichzeitig in der Eisenpfanne von beiden Seiten angebraten, danach durften sie gemeinsam einige Minuten im vorgewärmten Ofen ruhen. Beim Anschneiden die erste Überraschung: Obwohl alle Stücke von außen gleich aussehen und alle vor dem Braten Zimmertemperatur hatten, wirkt das ungereifte Stück innen noch beinahe roh, während die andern beiden nur noch einen rosafarbenen Kern aufweisen. Auch der benötigte Druck beim Schneiden und später das Mundgefühl bestätigen den Eindruck: das ungereifte Stück scheint die Hitze in der Pfanne anders aufgenommen zu haben. Erklären kann ich mir das nicht, dennoch war das Ergebnis erstaunlich eindeutig. Ungewohnt feste, pralle Fasern und ein wenig intensiver Geschmack sprechen eindeutig gegen weitere Versuche in diese Richtung.

Die beiden anderen Stücke sind optisch und geschmacklich nicht auseinanderzuhalten. Von einem gelegentlich beschriebenen metallischen Geschmack beim nassgereiften Fleisch kann  ich im direkten Vergleich nichts bemerkten. Für mich ist damit klar, dass sowohl Nass- als auch Trockenreifung unter meinen Bedingungen gute Ergebnisse liefern, und dass »No-Aging« keine Lösung für mich ist.

Sonderfall Drückjagd?

Bei Bewegungsjagden warten die Jägerinnen und Jäger nicht auf zufällig vorbeiziehendes Wild. Dem Jagdglück bzw. dem Wild wird auf die Sprünge geholfen: Ausgebildete Jagdhunde stöbern das Wild in seinen Verstecken in den dichter bewachsenen Bereichen auf. Das Wild möchte sich den Hunden entziehen und läuft dabei den im Vorfeld weiträumig abgestellten Jägerinnen und Jäger vor die Büchse. Eine effektive Jagdmethode – die hinsichtlich der Wildbrethygiene gewisse Nachteile mit sich bringt. Zum einen benötigt das Wild bzw. dessen Muskulatur auf der Flucht Energie. Das gespeicherte Glykogen wird abgebaut, später steht es deshalb nicht mehr für die Fleischreifung zur Verfügung. Die oben beschriebenen Abläufe können nicht oder nur unvollständig ablaufen. Das kann die Entstehung sogenannter »Fleischfehler« begünstigen, dazu unten mehr.

Meiner Meinung nach ist dieses recht häufig diskutierte Problem eher theoretischer Natur. Ich verwerte auch die auf Drückjagden von mir erlegten Tiere in der Regel selbst und nehme bei guten Treffern und anständigem Aufbrechen keinen Unterschied im Bezug auf Geschmack und Konsistenz wahr. Offenbar ist ausreichend Glykogen vorhanden, um sowohl Flucht als auch Fleischreifung zu ermöglichen. Auf gut organisierten Jagden sollte das Wild ohnehin weder weit noch schnell fliehen, sondern beim Versuch erlegt werden, sich vor klug eingesetzten und laut jagenden Hunden eher gemächlich zu »verdrücken«. Und selbstverständlich kommt es auch im Alltag der Tiere vor, dass sie vor Artgenossen, Hunden, Menschen oder Fressfeinden fliehen müssen. Sie stehen also gut im Training.

Unangenehm finde ich einen anderen Aspekt: Das Wild liegt unter Umständen eine ganze Weile tot im Wald. Auf der »normalen« Ansitzjagd fange ich in der Regel spätestens eine halbe Stunde nach dem Schuss damit an, meine Beute zu »versorgen«. Während einer Drückjagd darf aus Sicherheitsgründen allerdings niemand seinen zugewiesenen Platz verlassen. Erlege ich also gleich zu Beginn des Jagdtages ein Reh, weil es vielleicht mitbekommen hat, wie mein Nachbarschützen zu seinem Sitz geschlichen ist, ist der Stress vor der Erlegung minimal – aber ich werde das Tier in den nächsten drei Stunden nicht ausnehmen können. Im schlimmsten Fall habe ich dann zusätzlich nicht ideal getroffen und mit dem Schuss den Schlund oder den Magen-Darm-Trakt verletzt…
Durch zügiges Handeln könnte man auch in diesem Fall das Wildbret retten (siehe dieses Video), doch auf der Drückjagd ist das nicht zu machen und das wertvolle Fleisch mariniert einige Stunden »im eigenen Saft«. Diesen Unterschied kann man gerade bei suboptimalen Schüssen meiner Erfahrung nach leider durchaus schmecken – ein großer Nachteil der Drückjagden, der gelegentlich durch eine sogenannte Aufbrechpause entschärft werden soll.

Wer sich für eine fundierte wissenschaftliche Aufarbeitung dieses Themas interessiert, kann sich z.B. diese PDF-Datei über die örtliche Bibliothek besorgen.

Fleischfehler und Cold Shortening

In der Fachliteratur werden zwei Probleme beschrieben, die auftreten können, wenn Tiere vor ihrem Tod stark gestresst waren. Bezeichnet werden sie als DFD-Fleisch (Dark, Firm, Dry) bzw. PSE-Fleisch (Pale, Soft, Exudative). Beide Fehler sind bereits beim ungegartem Fleisch zu erkennen, weil es eben entweder auffällig dunkel, fest und trocken oder sehr hell, weich und wässrig ist. In beiden Fällen kann das Fleisch bedenkenlos verzehrt werden, der Genuss bleibt aber ein bisschen auf der Strecke.

Ursache ist in beiden Fällen der durch die Unruhe angekurbelte Stwoffwechsel. Die Reifung kann später nicht richtig ablaufen, da der Körper durch die Aufregung mehr Energie benötigt und die Glykogenreserven in den Muskeln bereits ganz oder teilweise abgebaut hat. Außerdem kann in einigen Muskelpartien Wärme entstehen, die in Kombination mit dem Mangel an Glykogen im Fleisch ebenfalls zu den unerwünschten Ergebnissen beiträgt.

Für Wild spielen diese Fehler meiner Erfahrung nach keine große Rolle. Gelegenheiten sie zu finden hätte ich gehabt:  Ich versuche in aller Regel, das von mir erlegt Wild selbst zu verwerten. Ich habe deshalb in den letzten Jahren einige Tiere verarbeitet, die in den Minuten vor ihrem Tod von Artgenossen, Hunden oder Treibern beunruhigt wurden – die beschriebenen Fleischfehler konnte ich bisher trotzdem nie beobachten. Für mein Kochbuch habe ich sogar ein Wildschwein verarbeitet, das einige Minuten von meiner Hündin Akira gestellt wurde, nachdem ein Schütze auf einer Drückjagd Mist gebaut hatte. Die ganze Geschichte findet sich im Buch, das Fleisch war einwandfrei.

Außerdem taucht in der Literatur noch ein anderer Fehler auf: Das „cold shortening“. Wird Fleisch nach dem Tod zu schnell heruntergekühlt, können die gespeicherten Energiereserven nur unvollständig abgebaut und entsprechend auch nur unvollständig für die Reifung genutzt werden. Das Fleisch bleibt dann zäh. Aus meiner Sicht betrifft dieses Problem hauptsächlich arbeitsteilig arbeitende Schlachthöfe, bei denen der Weg vom lebenden Tier zum gekühlten Produkt innerhalb von Minuten ablaufen kann. Die industrielle Lösung ist dann entweder eine „Vorkühlung“ mit etwas höherer Temperatur oder eine Elektrostimulation der toten Muskeln, die den Abbau des Glykogens erheblich beschleunigt.
Auf der Jagd läuft es beschaulicher ab als in einem industriellen Schlachthof. Nach dem Schuss ist es aus taktischen Gründen üblich, zunächst einige Minuten (mindestens eine „Zigarettenlänge“) still zu warten. Dann gilt es, das Tier zu finden, ggf. zu verblasen oder zu verbrechen, zum Auto zu schaffen, auszunehmen und die Organe zu beschauen, bevor die Beute schließlich zum Kühlraum transportiert werden kann … Bis das Fleisch letzten Endes gekühlt wird, vergeht auch unter optimalen Bedingungen eine ganze Weile.