Einen neuen Pilz finden und probieren

Pilze als saisonale Spezialität

Herbst ist Pilzzeit! Zwar gibt es auch im Winter, Frühjahr und Sommer den ein- oder anderen Speisepilz zu entdecken, aber so viele wie im Herbst sind es nie – deshalb möchte ich ihnen heute einen Beiutrag im Rahmen von »saisonal schmeckts besser« widmen. Ich sammle ständig, gerne und überall Pilze. Steinpilze, Maronen, Birkenpilze und andere „Schwammerl“ kennt man mit etwas Pilz-Erfahrung irgendwann. Diese Pilze sind nicht selten, einfach zu bestimmen, lecker – und trotzdem geht da noch mehr. Die oben genannten „Mainstream-Pilze“ bilden zusammen mit Pfifferlingen, Totentrompeten und Semmelstoppelpilzen nur die Spitze des Eisbergs. „Saisonal schmeckt besser“ muss nicht unbedingt dazu führen, sich einen Saisonkalender an den Kühlschrank zu kleben, sondern kann auch bedeuten, sich umzusehen, was eigentlich gerade Saison hat. „Umsehen“ heißt beim Thema Pilze selbstverständlich suchen, sammeln, bestimmen und schließlich zubereiten. Ich bemühe mich immer, mein Repertoire zu erweitern und neue Arten kennenzulernen. Das führt unweigerlich dazu, dass ich irgendwann den Schritt wagen muss, einen neuen, unbekannten Pilz zum ersten Mal zuzubereiten. Ich möchte statt einem „richtigen“ Rezept heute beschreiben, wie ich dabei vorgehe.

Ich würde mich nicht unbedingt als risikoscheuen (manche sagen: vernünftigen) Menschen bezeichnen, aber bei neuen Pilzen lohnt es sich schon, ein bisschen aufzupassen. Ich verarbeite durchaus Arten, die nicht alle Menschen essen und auch welche, die nicht Mal alle Menschen für essbar halten, wie beispielsweise den vor kut´rzem noch für giftig gehaltenen gelbstieligen Muschelseitling oder den saitenstieligen Knoblauchschwindling. In der Regel glaube ich aber, dass ich weiß, was ich tue. Und darum geht es: Pilzvergiftungen mit tödlichem Ausgang sind zwar ausgesprochen selten, aber sie kommen vor. Und auch nicht-tödliche Pilzvergiftungen machen keinen Spaß – sagt man. Ich kann es nicht beurteilen, bisher habe ich zum Glück noch alle Pilze richtig bestimmt. Toitoitoi.

Worauf muss man achten, wenn man einen neuen Pilz essen möchte?

Das wichtigste ist natürlich, jeden einzelnen Fruchtkörper richtig zu bestimmen. Wirklich! Jeden! Einzelnen! Dabei genügt es nicht, den Fund grob neben ein Bestimmungsbuch zu halten. Entscheidend sind mitunter Details: Sind die Lamellen direkt am Stiel angewachsen oder gibt es eine Ausbuchtung? Hat der Stiel am Fuß eine Verdickung, steckt er in einer Art Klumpen? Welche Farbe haben die Sporen, wenn man sie auf einem weißen oder schwarzen Papierbogen sammelt? Ich halte wenig von den üblichen Pilzbüchern, bei denen man aus einem Haufen Abbildungen eine Art heraussucht, die vielleicht stimmen könnte. Ein empfehlenswertes Buch, das hilft, die verschiedenen Arten anhand verschiedener Merkmale Schritt für Schritt zu bestimmen, ist „Grundkurs Pilzbestimmung*“ von Rita Lüders.

Der Semmelgelbe Schleimkopf

Mein Pilz heute ist der „Semmelgelbe Schleimkopf“ (Cortinarius varius). Er wird selten gegessen, vielleicht liegt es am Namen? Er ist jedenfalls essbar und – spoiler – auch sehr lecker. Er wächst an einigen Stellen in unserem Jagdgebiet, deshalb stolpere ich häufiger über den Pilz und habe ihn schon vor einer Weile zum ersten Mal bestimmt. Gegessen habe ich ihn aber eine ganze Weile nicht.
Wieder und wieder bin ich die wichtigsten Merkmale durchgegangen: Der Pilz wächst in Gruppen unter Nadelbäumen, ich finde ihn im Sepember und Oktober. Das passt. Der Hut ist ockergelb, die engstehenden Lamellen sind bei jungen Fruchtkörpern lila, bei älteren geht der Ton ins bräunliche. Direkt am Steil sind sie ein klein wenig abgesetzt. Ein Stückchen unterhalb ist der Stiel rundum bräunlich verfärbt, eine Art Ring bzw. Velum löst sich in feine Fäden auf, ähnlich wie ein Spinnennetz: ein seltenes und typisches Merkmal. Das Fleisch ist weiß, riecht leicht pilzig und – letzter Test – schmeckt frisch aus dem Hut gebrochen mild bis neutral. Zwei Jahre tanze ich um den Pilz herum, fotografiere ihn, beobachte, wie einzelne Exemplare älter werden und sich verfärben und gehe die Merkmale dirch. Dann bin mir sicher.

Bekannte Pilze essen

Bei Arten, die ich schon kenne und häufiger gegessen habe, halte ich den Aufwand geringer. Ich gehe die Merkmale beim Putzen durch und fertig. Trotzdem nehme ich jeden Pilz nochmal bewusst in die Hand, damit nicht doch ein versehentlich falsch gesammelter in der Masse mit durchrutsch. Sind dann alle Pilze sicher bestimmt, sollte es außerdem selbstverständlich sein, nur frische Pilze zu verarbeiten – Pilze enthalten reichlich Eiweiß, ältere Exemplare eigentlich essbarer Arten, können giftige Abbauprodukte enthalten, wenn sie bereits gammeln. Zusätzlich halte ich mich bei den ersten Kostversuche mit noch fremden Pilzen an eine zweite wichtige Grundregel: Ich sammle immer zwei Exemplare einer Art. Einen esse ich, den zweiten lege ich unversehrt in den Kühlschrank. Sollte ich später das Gefühl haben, dass es vielleicht doch besser gwesen wäre, von Anfang an jemand anderen meine Pilze bestimmen zu lassen, gibt es immerhin eine zweite Chance. Im Fall der Fälle kann das die Behandlung erleichtern. Tatsächlich müssen Pilzsachverständige gelegentlich aus dem Erbrochenen bestimmen, diese unschöne Arbeit kann man ihnen ersparen. Besonders schlau ist es aber, den Pilzkorb gleich nach dem Sammeln von Profis durchsehen zu lassen. Termine Ansprechpartner für Pilzberatungen findet man bei der „Deutschen Gesellschaft für Mykologie“ unter www.dfgm-ev.de und oft auch lokal angeboten von Volkshochschulen und ähnlichen Einrichtungen.

Pilzgeschmack!

Die erste Kostprobe einer neuen Pilzart ist dann auch deshalb etwas besonderes, weil es nicht so häufig vorkommt, dass ich etwas essen kann, was ich noch nie (!) probiert habe. Die meisten Aromen und Gerichte müssen sich mit ihren Vorgängern messen: Eine Pizza ist schlechter als die von neulich, vom anderen Italiener, eine Chilischote schärfer als die, die ich letztes bekommen habe, der Apfel schmeckt besonders säuerlich…
Für den »semmelgelben Schleimkopf« habe ich noch keine solche Schablone im Kopf. Ich kann und muss mich auf seinen neuen, noch fremden Geschmack einlassen. Das ist aufregend und macht für mich einen großen Teil der Sammelfreude aus.

Bei der ersten Geschmacksprobe brate ich einen einzelnen Hut im ganzen oder in Scheiben in etwas Butter. Geringe Hitze, wenig Fett, keine Gewürze – ich möchte den Pilz selbst schmecken. Aufwändige Rezepte und Kombinationen folgen dann später.

…und das gibt es bei den anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern von »saisonal schmeckts besser«:

Möhreneck Sauerkraut-Fenchel-Tarte Brotwein: Pilzgulasch Rezept Lebkuchennest: Bete Bourguignon thecookingknitter: Beitragsname Obers trifft Sahne: Vegetarischer Kürbis Burger Feed me up before you go-go: Kürbis-Mangold-Lasagne mit Kürbis-Sherry-Béchamel Langsamkochtbesser: Herbstmenü mit Kürbissalat Münchner Küche: Kürbis-Hackfleisch-Topf Küchenlatein: Blumenkohl-Zitronen-Suppe Ye Olde Kitchen: Rote Bete Tarte mit frischem Meerrettich und Fetakäse Jankes*Seelenschmaus: Gemüse-Maultaschen

*affiliate link, ich bekomme bei einem Kauf eine kleine Provision von thalia.

Die Arbeit an diesem Text wurde gefördert durch das Stipendienprogramm »Neustart Kultur«, vielen Dank an die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien und die Verwertungsgesellschaft Wort.