Welches Teilstück für welche Zubereitungsmethode?
Wild zerlegen und Wild richtig zubereiten
Um mit Wildbret und mit Fleisch allgemein sinnvoll arbeiten zu können, ist es entscheidend, einen groben Überblick über die Funktion der verschiendenen Muskeln und Körperteile eines Tieres zu haben. Dieser Blick auf das Lebensmittel ist für viele Menschen ungewohnt: Fleisch, das ist dieses rosafarbene, Eingeschweisste aus der Kühltheke. Knochen wurden dann längst entfernt, Sehnen pariert und Anatomie und Lebewesen aus dem Bewusstsein verbannt. Das funktioniert sogar, denn Fleisch wird bereits für eine bestimmte Zubereitung verkauft: »Ein Kilo Gulasch, zwei Rouladen und ein gutes Pfund Gehacktes, bitte…«.
Wer ein Reh, ein Wildschwein oder einen Hirsch selbst verarbeiten möchte, stößt allerdings an die Grenzen dieser Strategie. Das Tier kauft man manchmal noch mit Fell, oft mit Knochen – und fast immer ohne eine derartige »Bedienungsanleitung«. Darüber, wie man das Tier fachgerecht zuschneidet habe ich ein Buch geschrieben, wie man welches Teilstück dann verarbeitet, möchte ich hier erläutern. Wie verarbeitet man also die Hachse eines Rehs, was macht man am besten mit der Schulter eines Wildschweins und welche Rezepte gibt es für den Hals oder »Träger« eines Hirschs? Warum ist der Rehrücken so beliebt? Als Jäger stelle ich mir diese Fragen recht häufig und glaube, inzwischen einige gute Antworten gefunden zu haben.
Wildrezepte für jedes Teilstück und jeden Zuschnitt
Wissen über Fleischqualität
Wenn ich meine Beute verarbeite und mir Rezepte überlege, stehen für mich die Eigenschaften der einzelnen Muskeln und Teilstücke im Vordergrund. Mein Wildkochbuch habe ich nach diesem Prinzip aufgebaut und mich nicht auf die »Edelteile« konzentriert, sondern jeweils ein Tier verschiedener Arten komplett verarbeitet. Natürlich hat das Wildbret vom Wildschwein einen anderen Geschmack als das Fleisch vom Reh, und Reh schmeckt nicht wie Kaninchen, doch was die Zubereitung angeht, macht für mich den größten Unterschied, welches der Teilstücke ich verwende. Für jede Zubereitungsmethode gibt es das richtige Stück – umgekehrt ist trockenes oder zähes Fleisch auf dem Teller fast immer das Ergebnis einer falschen Garzeit oder Zubereitungsmethode für den jeweiligen Zuschnitt. Vorweg: Beim Thema Fleischqualität ist es für mich wichtig, zu betonen, dass es „minderwertiges Fleisch“ für mich ebenso wenig gibt wie „Edelteile“: Jeder Zuschnitt und jeder Muskel hat seine Stärken, die es für ein optimales Geschmackserlebnis herauszuarbeiten und zu nutzen gilt! Hals und Eisbein taugen zwar nicht für eine schnelle Runde auf dem Grill, sind aber die erste Wahl für Schmorgerichte. Ein Gulasch aus dem sehnenfreien Rückenmuskel kann genau so wenig gelingen, wie eine kurzgebratene Hachse.
Grundregel: »Hooves and Horns«
Welche Teilstücke sich für welche Art der Zubereitung eignen, hängt vor allem davon ab, wieviel Sehnen und Bindegewebe das Teilstück enthält. Mithilfe einer einfachen Faustregel ist diese Frage relativ leicht zu beantworten – je weiter entfernt von „Hooves and Horns“ das Fleisch gewachsen ist, desto weniger Sehnen enthält es.
Komplizierte Dinge einfach zu erklären hat oft seine Tücken, doch in diesem Fall funktioniert das simple Schema erstaunlich gut: Genau an dem am weitesten von allen „Hufen und Hörnern“ entfernten Punkt, sitzt tatsächlich das sehnenfreie, zarte Filet. Auch auf die anderen Teilstücke des Rehs lässt die Regel sich ohne weiteres anwenden. Hals, Hachse und Eisbein enthalten viele kräftige Sehnen. Die Schulter ist schon weniger stark durchwachsen und die Keule und der Rücken enthalten große, komplett sehnenfreie Partien.
Rücken und Filet
Der Rücken gilt als das edelste Teilstück eines (Wild-)Tiers, entsprechend ist dieses Fleisch auch am teuersten. Die beiden langen Rückenmuskeln sitzen oberhalb der Wirbelsäule, beim Rind schneidet man aus ihnen z.B. Roastbeef, Porterhouse- oder Ribeyesteak. Die Filets sitzen unterhalb der Wirbelsäule im Bauchraum, sie sind winzig: Bei einem ca. 15 Kilo schweren Reh wiegen beide Filets zusammen nur 150 Gramm. Vom Knochen gelöst und pariert, bestehen Rückenmuskel und Filet aus reinem Muskelfleisch und sind völlig frei von Sehnen. Entsprechend unkompliziert sind sie zuzubereiten. Enige Sekunden bei maximaler Hitze in der Pfanne scharf braten bis eine Kruste entsteht (in Butterschmalz oder hocherhitzbarem Öl), dann zum Garziehen nochmal für einige Minuten bei 80-120 °C in den vorgewärmten Backofen – fertig, und unschlagbar einfach.
Die Keule
Zum Kurzbraten eignet sich neben dem Rücken auch die Keule (das „Hinterbein“).Trennt man eine Keule entlang der Bindegewebsschichten in die einzelnen Muskeln auf, erhält man weitgehend sehnenfreie Fleischstücke: Nuss, Rolle, Unterschale, Oberschale, Hachse, Hüfte und das „Bürgermeisterstück“, das beim Reh so klein ist, dass es bei mir mit anderen Abschnitten im Hack landet. Alle Teilstücke schmecken kurzgebraten, wenn man die oberflächlichen, hellen Sehnenplatten und das Fett entfernt hat. Eine Ausnahme ist die »Nuss«, sie sitzt direkt über der Kniescheibe auf dem Knochen. Längs durch diesen Muskel verläuft eine stärkere Sehne, deshalb ist sie zum Kurzbraten nicht ideal. Ich nutze ich dieses Teilstück lieber für Schmor- oder Hackfleisch, und meistens sammle ich die Nüsse bis zum Herbst, um dann Nussschinken zu räuchern. Die Hachse, also der Unterschenkel, enthält viele Sehnen. Sie ist zum Kurzbraten nicht geeignet, ich nutze sie für Schmorgerichte.
Egal ob Reh, Hirsch oder Wildschwein: Hals, Hachse (Unterschenkel) und Eisbein (Unterarm) sind ständig in Bewegung, werden stark beansprucht und enthalten dicke, feste Sehnen. Oft werden die sehnigen Teilstücke aus den äußeren Extremitäten als weniger wertvoll dargestellt, aber das stimmt nicht. Sie benötigen höchstens ein bisschen mehr Zuwendung, bis es wirklich schmeckt.
Sehnen sind super!
All enthaltenen Sehnen aus dem Fleisch der äußersten Extremitäten einzeln zu entfernen ist beinahe aussichtslos. Bei der Zubereitung sollte man mit ihnen zu arbeiten, nicht gegen sie. Grundsätzlich wird Energie benötigt um die Sehnen zu zersetzen. Aufbringen können diese Energie unsere Zähne durch ausdauerndes Kauen – die naheliegendste, aber unbeliebteste Lösung. Ein Fleischwolf mit seinem rotierenden Messer klingt da schon besser, aber am effizientesten lösen diese Aufgabe meiner Meinung nach Backofen oder Herd. Da die Sehnen im wesentlichen aus Kollagen bestehen, das sich ab einer Temperatur von 63 °C langsam zersetzt, ist stundenlanges (!) Schmoren die ideale Verwertung für sehnige Teilstücke. Das Fleisch wird nach einer Weile zart und mürbe und die entstehende Sauce herrlich seidig – um Welten besser, als sie bei einem Teilstück ohne diese Sehnen je gelingen könnte!
Hackfleisch/Schulter
Hackfleisch ist mehr als Resteverwertung. Tatsächlich ist das Hack-Fach in meinem Gefrierschrank oft als erstes leer. Neben den kleinen Fleischstückchen, die bei der Verarbeitung anfallen, landen bei mir immer die Schultern im Hack. Das hat mehrere Gründe: Es ist nicht einfach, den dreieckigen Knochen im oberen Bereich der Schulter auszulösen und selbst wenn das gelingt, bleibt ein wenig homogenes Fleischstück: Sehnen unterteilen es in einzelne Muskeln und die Dicke des Fleisches variiert stark – ein schönes Bratenstück ergibt es nicht. Zum anderen sitzt auch die Schussverletzung im Schulterbereich, häufig kann ohnehin nicht das ganze Teilstück verarbeitet werden. Ich rate davon ab, Hachse oder Eisbein durch den Wolf zu drehen. Die kräftigen Sehnen werden nur in kleine Stücke geschnitten, machen sich später beim Kauen in Burgern oder Buletten aber trotzdem bemerkbar.
Eiskalt durchdrehen
Ich mach mein Hackfleisch immer frisch. Einmal gewolft verdirbt Hack durch die enorm große Oberfläche besonders schnell, deshalb möchte ich es nach dem Wolfen gerne zeitnah verarbeiten. Außerdem finde ich es so am praktischsten: Das Fleisch, das später zu Hack werden soll, friere ich in flachen Paketen à 500 g ein. Vor der Zubereitung lasse ich diese Pakete kurz antauen. Sobald ich mit dem Messer durch das gefrorene Fleisch komme, schneide ich das Fleisch grob in Würfel und lasse es durch den Wolf. Auf diese Weise lässt sich auch mit einem einfachen Fleischwolf mit Handkurbel sauber geschnittenes Hack herstellen, während aufgetautes, weiches Fleisch schnell mehr gequetscht als geschitten wird.
Innereien auf den Teller?
Gleich nach dem Schuss nehme ich das Wild aus: Herz, Leber, Lunge, Nieren, Milz, Magen oder Mägen (Wiederkäuer haben gleich vier) und Darm werden entfernt. Dieser »Aufbruch« wird nur selten verkauft. Häufig dürfen sich wenigstens die Jagdhunde darüber freuen, aber nicht selten wird er auch einfach gar nicht verwertet. Ich versuche, auch die »inneren Werte« einer sinnvollen Nutzung zuzuführen und gelegentlich Herz und Leber, Niere und Milz, Pansen und Lunge oder Hoden und Hirn zuzubereiten. Essen kann man diese »inneren Werte« grundsätzlich alle. Anders als Muskelfleisch müssen die inneren Organe (Bis auf das Herz, das bekanntlich ein Muskel ist) auch nicht reifen, sie kommen möglichst frisch auf den Tisch. Für manche Jäger ist es deshalb eine Tradtion, die Leber und manchmal auch die Nieren und das Herz gleich nach der erfolgreichen Jagd zuzubereiten: Das »kleine Jägerrecht« wird gebraten, mit Wein abgelöscht und mit Schmorzwiebeln, Kartoffelstampf und Apfelscheiben serviert.
Dschungelcamp oder Geschmackserlebnis?
Die inneren Organe zuzubereiten ist heute aber nicht mehr selbstverständlich. Erwähne ich gegenüber anderen Jägern, dass ich Leber, Milz und Nieren essen möchte, ernte ich gelegentlich auch ungläubige Blicke und muss mir Vergleiche mit dem „Dschungelcamp“ anhören. Dabei gibt es doch viele traditionelle Rezepte: Leberwurst und Milzschnitten, „Beuschel“ und Kutteln – es ist nicht lange her, dass es vollkommen selbstverständlich war, auch das „fünfte Viertel“ auf den Tisch zu bringen.
Was ist mit dem Fett?
Entscheidend für einen angenehmen Geschmack ist bei Reh- Rot- und Damwild, alles Fett zu entfernen – egal ob gewolft oder geschmort wird! Der Feist schmeckt dumpf und tranig, ich mag das überhaupt nicht. Bei Schwarzwild hingegen lasse ich das Fett immer am Fleisch.