Keine Angst vor dem Fuchsbandwurm

Ich stecke Dinge in meinen Mund, die im Wald wachsen: Blaubeeren zum Beispiel, Brombeeren oder Himbeeren. Und Rehe natürlich. Ausnahmen mache ich eigentlich nur, wenn bereits wissenschaftlich nachgewiesen wurde, dass es Menschen sehr schlecht geht, wenn sie sich ein bestimmtes Ding in den Mund stecken. Den Fuchsbandwurm und seine Eier würde ich mir deshalb eher nicht in den Mund stecken – aber kann ich dann trotzdem mit gutem Gefühl Beeren im Wald naschen? Oder stecke ich mich durch den Verzehr von Früchten, Kräutern und Pilzen vielleicht mit dem Fuchsbandwurm an?

Erkrankt man durch den Verzehr von Waldbeeren am Fuchsbandwurm?

Füchse leben bekanntlich (auch) im Wald. Und sie verrichten dort ihre Notdurft, unter Umständen eventuell sogar direkt auf Beeren, die ich später esse. Fuchs – Beere – Kaka – Infektionskette? Angeblich kann der Kot von mit dem Bandwurm infizierten Tieren die Eier des Parasiten übertragen. Sogar die Jagd auf Füchse wird gelegentlich mit dem Fuchsbandwurm begründet: Mehr Jagd bedeutet weniger Füchse, weniger Füchse bedeutet weniger Fuchslosung, etc… Ich habe ein bisschen das Gefühl, dass das eher eine gute Geschichte ist, wenn man keine Lust auf Beerensammler im Jagdrevier hat. Persönlich mache ich mir keine Sorgen wegen des Bandwurms und lasse es mir schmecken – und ich würde das auch guten Gewissens anderen empfehlen. Warum?

Bild zeigt ein Glas mit Waldhimbeeren

Fuchsbandwurm-Infektionen sind furchtbar selten

Den Umgang mit Inzidenzzahlen haben wir in den letzten Jahren alle ausgiebig geübt. Es gehört nach der Corona-Pandemie zur Allgemeinbildung, zu wissen, was die Leute im Robert-Koch-Institut beschäftigt. Das RKI veröffentlicht allerdings nicht nur Coronainzidenzen, sondern auch exakte Zahlen zur »Echinokokkose«, also Befall von Menschen mit dem Fuchsbandwurm: Im Jahr 2018 wurde die meldepflichtige Erkrankung in Deutschland insgesamt 139 Mal festgestellt. In 34 Fällen erfolgte die Ansteckung in Deutschland, in 65 Fällen im Ausland und in 40 Fällen gibt es dazu keine Angabe. Das allein ist eine erfreuliche Nachricht: Bei nicht einmal zwei Fällen pro 1.000.000 Einwohner, erscheint mir das Risiko doch extrem gering.

Was hat der Wald mit dem Fuchsbandwurm zu tun?

Nun kann man natürlich einwenden, dass auch nur wenige Menschen intensiv Waldbeeren essen. Das Risiko einer Ansteckung mit dem Fuchsbandwurm, wäre für echte Wald-Genießer trotz der geringen Zahlen entsprechend höher. Das bringt mich zum nächsten Punkt: Warum sprechen wir eigentlich über Blaubeeren, aber nicht über Salatgurken? Füchse sind Kulturfolger, sie kommen mit der Nähe des Menschen ausgesprochen gut zurecht. Ich habe nie so viele Füchse gesehen, wie in den Jahren, die ich mitten in Berlin gewohnt habe – dort lebt an jeder Ecke/Dönerbude einer und frisst die reichlich vorhandenen Abfälle. Das ist mehr als eine nette Anekdote und wissenschaftlich belegt: »Je städtischer der Lebensraum desto höher die Fuchsdichte«.

Füchse und ihre Bandwürmer leben auch in Dörfern und Städten. Es gibt keinen Grund zu vermuten, dass Waldbeeren stärker oder häufiger belastet wären, als im Freiland kommerziell angebaute Beeren und Gemüsesorten. Wo Füchse vorkommen, kacken sie auch – egal ob auf Wald- oder Zuchterdbeeren. Dass selbst eventuell um die Flächen gebaute Zäune nur mit viel Aufwand ein sicherer Schutz vor Füchsen sind, kann jeder Hühnerhalter bestätigen. Trotzdem erhitzt niemand alle Erdbeeren, Gurken und Kohlrabi vor dem Verzehr, egal ob sie aus dem eigenen Garten stammen, aus der Gärtnerei, dem Hofladen oder aus dem Supermarkt. Offenbar wäre es sogar sicherer, irgendwo in der (fuchsarmen) Wallachei Blaubeeren zu naschen, statt am (fuchsreichen) Stadtrand »Beeren frisch ab Hof« zu kaufen.

Fuchsbandwurm durch beeren?

Wie infiziert man sich mit dem Fuchbandwurm?

Ob mit Fuchskot belastete Nahrung überhaupt eine Rolle bei den Ansteckungen spielt, ist umstritten und nicht leicht nachzuvollziehen. Die Krankheit bricht nicht mit dem Verzehr aus wie eine Vergiftung, sie erfolgt schleichend und wird häufig erst nach Jahren bemerkt. Einen eindeutigen Infektionszeitpunkt zu bestimmen, ist da kaum möglich. Trotzdem lässt sich in etwa festhalten, welche Merkmale bei Menschen mit einer Fuchsbandwurminfektion übereinstimmen. Es zeigt sich: Eine wesentlich größere Bedeutung als Beeren könnten (leider) Haustiere haben.

Hunde als mögliche Infektions-Quellen

Tatsächlich habe ich also ein (innerhalb der geringen Infektionszahlen) vergleichsweise hohes Risiko, den Bandwurm zu bekommen – wegen Akira, meiner Hündin. Hunde sind Füchsen so ähnlich, dass sie – anders als Menschen – kein Fehlwirt für den Fuchsbandwurm sind, sondern als Hauptwirt in Frage kommen. Akira lebt in den gleichen Räumen wie ich, und sie schläft zwar nicht mit im Bett, aber doch immerhin in einem Körbchen im Schlafzimmer. Frisst sie eine erkrankte Maus, infiziert sie sich selbst, wird zum Überträger und scheidet fortlaufend Eier aus.

Für Hundehalter sind das schlechte Nachrichten, aber die Wahrscheinlichkeit, dass Akira erkrankt, bleibt gering. Wir leben in einem fuchsbandwurmarmen Land, und sie wird unter anderem aus diesem Grund regelmäßig entwurmt. Falls ich aber wirklich etwas unternehmen wollte, um mein individuelles Risiko für eine Echinokokkose zu senken, wäre es sinnvoller, mich von ihr zu trennen, als auf die Beeren zu verzichten. Das Robert Koch Institut fasst es in seinem empfehlenswerten »RKI-Ratgeber zur Echinokokkose« so zusammen:

„ Infektionsgefahr besteht vor allem in Hochendemiegebieten dort, wo unter schlechten hygienischen Bedingungen enge Kontakte mit dem Hauptwirt (Hund) bestehen.“

»RKI-Ratgeber zur Echinokokkose«

Zur Sicherheit habe ich vor etwa zwei Jahren im Rahmen einer anderen Blutuntersuchung spontan darum gebeten, auch mal nach dem Fuchsbandwurm zu sehen. Der Test war negativ, und wenn mich jemand braucht, sitze ich weiter mit Akira zwischen irgendwelchen Büschen, bewege mich erst, wenn ich mit dem Arm nichts essbares mehr erreichen kann und freue mich schon, auf die bald reifenden Erd-, Blau-, Him- und Brombeeren.

Akira vom Ulmenstein, kleiner Münsterländer Jagdhund in Ausbildung ist auf einem Feldweg abgelegt

Diesen Beitrag habe ich zusammen mit vielen anderen in die gesammelten Fragen zum Thema Wild und Wildfleisch aufgenommen.

Quellen:
RKI-Ratgeber zur Echinokokkose

Infektionsepidemiologisches Jahrbuch meldepflichtiger Krankheiten für 2018, S.77 ff

Vereinigung der VeterinärparasitologInnen: Fuchsbandwurm beim Menschen: Hund als Risikofaktor

Christof Janko, Daniel Trappmann, Wolfgang Schröder, Stefan Linke,
Andreas König, Freising: Populationsdichten des Rotfuchses (Vulpes vulpes)
im Stadt-Land-Gradienten und deren Determinanten